2
Dez
2006

7. Einheit vom 30. November 2006

„Der Halbmond und die Doppeladler. Historische politische Geographie Südosteuropas“ von Gerfried Mandl (Anthropologe)

Auf der Balkanhalbinsel gibt es eine große Vielfalt (Zersplittertheit) an Sprachen, während Westeuropa relativ einheitlich dasteht. Alles ist sehr kleinräumig. Warum sich die heutige Situation so darstellt, soll mit dieser Vorlesung dargestellt werden und von der Antike bis 1900 reichen.

Im Römischen Reich begannen sich die Leute als Römer zu fühlen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Balkan eigentlich eine gleiche Geschichte wie Westeuropa. Das Weströmische Reich zerfällt jedoch und es herrscht für einige Jahrhunderte Chaos, während das Oströmische Reich bestehen bleibt. Im Westen beruhigt sich aber dann die Situation und die Völker lassen sich nieder, während im Osten weitherin viele Völker aus dem Osten kommen (6.-13. Jh.). Andererseits bleiben in Ostrom die Strukturen bestehen. Es gibt einen Einsiedlungsprozess der Slawen, weil der Limes kaputt geht. Stämme sickern ein, diese siedeln sich zunächst im Süden an. 626 stehen die Slawen vor den Toren von Konstantinopel, sie kooperieren sogar mit den Sassaniden! Aber Byzanz kann zurückschlagen. Reformen waren notwendig und mit der Hilfe von Söldnerheeren (obwohl Barbaren) zur Verteidigung verbreitet sich die Seemacht Byzanz wieder, vor allem an der Küste.

Das nächste Volk das eindringt sind die Bulgaren, welche die ersten großen Gegner für Byzanz sind. Diese nehmen sich Byzanz als Vorbild, breiten sich aber relativ fern von der Stadt aus. Das Bulgarische Reich hat seinen Höhepunkt am Anfang des 10. Jh. – sie wollten die Rolle Byzanz einnehmen. Es gab langwierige Auseinandersetzungen, die antiken städtischen Kulturen verschwinden, weil diese besonders anfällig sind. Diese waren zuvor überregional ausgerichtet, nun haben sie nur mehr lokale Bedeutung. Früher war Byzanz das Reich der Städte, nun war es das Reich der Dörfer. Es herrschte Menschenmangel, was fatal war, denn Byzanz baute primär auf den Einnahmequellen der Bauern auf. Dadurch kam Steuerdruck auf und Landflucht setzte ein. Dieser Prozess verursachte Bauernaufstände was zu Krisenjahren führte. Es ging dann auch Kleinasien verloren, was eine der Lungenflügel Byzanz (neben Balkan) beseitigte.

Die Normannen breiten sich auf Sizilien und Süditalien aus, sie greifen auch auf Albanien über. Die Ungarn bilden sich und ein neues Reich und damit Konkurrenz zu Byzanz. Auch Serbien bildet sich. Im 12. Jh. gewinnt aber Byzanz nochmals die Oberhoheit der staatlichen Strukturen und will sogar Ungarn angreifen. Aber rasch verliert es wieder viele Gebiete. Der 4. Kreuzzug von 1202-1204 verwüstet Byzanz, welches daraufhin kurzfristig verschwindet. Daraufhin gab es nur mehr Feudalreiche. In Bosnien und Mazedonien gab es viel Silber und Gold, was der Schubfaktor für den schnellen Aufstieg für Serbien war. Es wollte nun auch ein eigenes Patriarchat – dies ist wichtig, weil später dieses die ethnischen Strukturen trägt. Es gibt immer wieder Bevölkerungsumsiedlungen, weil Bauern für die Kolonien gebraucht werden.

Gegen Ende des Reiches gibt es nur mehr Söldner, obwohl Byzanz diese gar nicht mehr bezahlen kann. Die Osmanen werden als Söldner angeheuert und statt Lohn bekommen sie Territorium. 1359 aber greifen die Osmanen Byzanz an, erst hundert Jahre später kann es aber erst erobert werden. Die Osmanen sind wie ein Fisch im Wasser und erobern die ganzen Gebiete, sie übernehmen auch die Strukturen der Byzantiner. Es wurden drei Amselfeldschlachten mit den Serben gefochten, denn die Osmanen wollten ihre Ressourcen sichern, die vor allem im Kosovo lagen.

Ragusa (Dubrovnik) war eine Durchgangsstadt zwischen West und Ost. Als erste Macht verfügten die Osmanen ein stehendes Heer in Europa, Mitte des 16. Jh. hatten sie 90.000 Mann. Dies war beeindruckend, vor allem von der logistischen Seite. Am Balkan gab es keine Probleme, dafür aber in Anatolien die Soldaten zu versorgen. Das negative bei einem großen Heer ist die Kostenspirale. Es waren immer wieder Expansionskriege notwendig, damit die Soldaten beschäftigt waren und ein Lehen bekommen konnten. Die Osmanen hatten damit dieselben Probleme wie Byzantiner zuvor. Es gab wieder einen Wettbewerb um die Bauern und Siedler. Viele Leute aus Anatolien wurden im Balkanraum angesiedelt. Staat und Feudalsystem funktionierten so gut, dass sie bis ins 18./19. Jh. andauerten. Der Balkan war sehr ländlich geprägt. Die osmanische Toleranz – im religiösen Sinne – ermöglichte die Vielfalt aufrechtzuerhalten. Es gab keine Harmonisierungstendenzen. Große Straßen, Buchdruck, Neuerungen waren nicht notwendig. Im 19. Jh. war deswegen das Osmanische Reich sehr veraltet.

Im Norden bildete sich mit der Zeit eine Patt-Situation im 17. Jh. mit den Habsburgern. Es gab keine langfristigen Erfolge. Die Grenzregion wurde von den Habsburgern zum Niemandsland erklärt – obwohl es eigentlich fruchtbarer Boden war (so etwas wäre im Westen nie möglich gewesen). Wehrbauern wurden angesiedelt an der Militärgrenze, der Krajina. Es gab auch keine Entwicklung in diesem Gebiet. Im 19. Jh. war der osmanische Zentralstaat arg geschwächt. Ethnische Konflikte spielen aber erst sehr spät eine Rolle. Konflikte gibt es einerseits wegen Bauernaufständen (wegen zu hohen Steuern), andererseits wegen Lokaldespoten. Ein weiterer Faktor war der Umstand, dass sich die europäischen Machtblöcke für den Balkan zu interessieren begannen. Dieser Einfluss von außen war ganz entscheidend. Auswärtige Intellektuelle spornen Leute vor Ort an – obwohl diese ihre eigene Geschichte gar nicht kannten.

Der Balkan hat eine besondere Geschichte, nicht wegen seiner peripheren Lage sondern weil besonders viel los war bis zum Hochmittelalter. Aus allen vier Himmelsrichtungen gab es Bevölkerungsbewegungen. Es konnte keine Grundstruktur geschaffen werden. Das Osmanische Reich war dann immer präsent – obwohl es sehr schwächelte im 19. Jh. Auch war das Feudalsystem immer präsent, die gesellschaftliche Situation wurde konserviert. Durch die Toleranz gab es ethnisch heterogene Einheiten!
logo

RV Krieg und Militaer

Aktuelle Beiträge

12. Einheit vom 25. Jänner...
Krieg, Militär und Geschlecht im 20. Jh. von Elfriede...
itdoesnotmatter - 25. Jan, 16:49
11. Einheit vom 18. Jänner...
Geschwächte Staaten und prekarisierte Männlichkeiten:...
itdoesnotmatter - 18. Jan, 23:00
10. Einheit vom 11. Jänner...
Der Irak zwischen Staatszerfall und nationbuilding...
itdoesnotmatter - 18. Jan, 22:56
danke für den hinweis!
danke für den hinweis!
itdoesnotmatter - 10. Jan, 01:27
Durchaus interessant,...
Durchaus interessant, eine Zusammenfassung der eigenen...
adresscomptoir - 18. Dez, 10:24

Archiv

Dezember 2006
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 1 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
11
12
13
14
15
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 

Suche

 

Status

Online seit 6386 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 25. Jan, 16:49

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren